Gesellschaftsgründung in der Türkei nach dem neuen türkischen Handelsgesetzbuch

I. Einführung

Mit Inkrafttreten des neuen Türkischen Handelsgesetzbuches (Gesetz Nr. 6102) am 1. Juli 2012 und unter Berücksichtigung des am selben Tage in Kraft getretenen Änderungsgesetzes (Gesetz Nr. 6335) wurde das türkische Handelsrecht, insbesondere das Gesellschaftsrecht, wesentlichen Änderungen unterzogen. Das neue Gesetz löst mit seinen mehr als 1.500 Artikeln das 1957 in Kraft getretene Handelsgesetz ab und verbessert durch Anpassung an internationale Standards und Schaffung von Transparenz die Rahmenbedingungen für ausländische Investoren. Zusammen mit dem bereits seit 2003 in Kraft getretenen Gesetz über “ausländische Direktinvestitionen” (Gesetz Nr. 4875), nach welchem ausländische und inländische Investoren gleichgestellt werden, macht das neue Türkische Handelsgesetzbuch den Einstieg in den türkischen Markt noch einfacher und praktikabler. In Artikel 124 des neuen Türkischen Handelsgesetzbuches werden die in der Türkei möglichen Handelsgesellschaftsformen konkret aufgelistet. Danach zählen Kollektivgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Aktiengesellschaft (AG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und Genossenschaft zu den Handelsgesellschaften. Während Kollektiv- und Kommanditgesellschaft als Personengesellschaften eingeordnet werden, stellen AG, GmbH und Kommanditgesellschaft auf Aktien, Kapitalgesellschaften dar. Anders als im deutschen Recht besitzen neben der AG und GmbH auch alle anderen Handelsgesellschaften den Status einer juristischen Person. Da von ausländischen Investoren die AG (Anonim Şirket) und die GmbH (Limited Şirket) zu den bevorzugten und praktikabelsten Gesellschaftsformen gehören, beschränken sich weitere Ausführungen auf diese beiden Gesellschaftstypen. Investoren haben bei der Gründung bis auf wenige Tätigkeitsbereiche, in welchen zwingend die Gründung einer Aktiengesellschaft oder Genossenschaft vorgeschrieben ist (z.B. Banken, Versicherungsgesellschaften), freie Wahl, ob sie eine AG oder eine GmbH gründen. 

 II. Die AG (Anonim Şirket)

Die Aktiengesellschaft besitzt ein in Aktien zerlegtes Grundkapital. Das Mindestgrundkapital beträgt 50.000 TL. Ratsam ist es allerdings, die Gesellschaft bereits bei der Gründung ausreichend finanziell auszustatten, so dass nicht bereits im ersten Geschäftsjahr Kapitalerhöhungen erforderlich sind. Gesellschafter können juristische oder natürliche ausländische oder inländische Personen sein. Die Anteile können unter den Aktionären beliebig verteilt werden (ein Anteil muss mindestens 1 Kuruş betragen), und es besteht erstmalig auch die Möglichkeit der Gründung einer Ein-Personen-Gesellschaft. Während vor der Reform zwischen Einheitsgründung und Stufengründung unterschieden wurde, kennt das Gesetz heute nur noch die Einheitsgründung. Danach übernehmen die Gesellschafter bei der Gründung sämtliche Aktien der Gesellschaft.

      ·       Registriertes Kapitalsystem 

Neuerdings unterscheidet das Gesetz zwischen registriertem und nicht registriertem Kapitalsystem. So haben nun auch nicht börsennotierte Gesellschaften die Möglichkeit, sich für das registrierte Kapitalsystem zu entscheiden. Erforderlich ist die Einholung einer Erlaubnis beim Zoll- und Handelsministerium. Der Vorteil des registrierten Kapitalsystems besteht wesentlich darin, dass der Vorstand innerhalb eines in der Satzung festgelegten Zeitraums (maximal 5 Jahre) bis zu einer konkret bestimmten Summe (maximal das 5 fache des Grundkapitals) ermächtigt wird, Kapitalerhöhungen selbst vorzunehmen, so dass es nicht erst einer Satzungsänderung nach durchgeführter Hauptversammlung bedarf. Somit ist der Vorstand flexibler und kann im Notfall schneller auf finanzielle Engpässe reagieren. 

Sofern sich eine nichtbörsennotierte Gesellschaft für die Möglichkeit des registrierten Kapitalsystems entscheidet, beträgt das Mindestgrundkapital 100.000 TL.

      ·       Organe

Die Aktiengesellschaft setzt sich zusammen aus zwei Organen: Vorstand und Hauptversammlung. Der bisher obligatorische Kontrolleur (denetçi) wurde als drittes Organ abgeschafft. An dessen Stelle tritt bei bestimmten – größer ausgerichteten oder in bestimmten Branchen tätigen – Gesellschaften die Verpflichtung zur Bestimmung eines unabhängigen Prüfers oder einer unabhängigen Prüfungsgesellschaft. Kriterien regeln zwei Ministerratsbeschlüsse (2012/4213 und 2014/5973). 

Ferner sieht das im April 2013 veröffentlichte Änderungsgesetzes (Gesetzesnummer 6455) vor, dass nunmehr grundsätzlich alle Aktiengesellschaften einer Prüfung unterliegen. Wie diese genau auszusehen hat, wird in einer separaten Ausführungsverordnung geregelt werden, welche bisher nur im Entwurf vorliegt. 

Die Hauptversammlung ist ein gesetzliches Organ der Aktiengesellschaft. Es handelt sich 
um eine Versammlung der Aktionäre, in welcher diese ihre Rechte in Angelegenheiten der AG ausüben. Man unterscheidet zwischen ordentlicher und außerordentlicher Hauptversammlung. Die ordentliche Hauptversammlung hat innerhalb von drei Monaten nach Abschluss eines jeden Betriebsjahres stattzufinden. In der Hauptversammlung werden in allen von Gesetz oder Satzung bestimmten Fällen Beschlüsse gefasst. Soweit im Gesetz oder in der Satzung keine höhere Beteiligung vorgesehen ist, erfordert die Versammlungsmehrheit die Teilnahme von Aktionären oder deren Vertretern, deren Beteiligung zusammen mindestens ein Viertel des Grundkapitals ausmacht. Entscheidungen werden mit einfacher Mehrheit der anwesenden Stimmen getroffen. Besonderheiten gelten bei wichtigen Entscheidungen der Gesellschaft in Gestalt von Satzungsänderungen.

     Der Vorstand kann aus einer oder mehreren natürlichen oder juristischen Personen bestehen. Die Staatsbürgerschaft, der Bildungsgrad oder der Wohnsitz der Vorstandsmitglieder spielt – anders als zunächst im Entwurf vorgesehen – keine Rolle. Es ist nicht länger erforderlich, dass Vorstandsmitglieder gleichzeitig auch Aktionäre der AG sein müssen, so dass nun bei der AG auch Nichtaktionäre in den Vorstand gewählt werden können. Insofern ist eine vollkommene „Fremdgeschäftsführung“ möglich. Sollte eine juristische Person als Vorstandsmitglied bestellt werden, muss diese eine natürliche Person benennen, welche im Namen der juristischen Person handelt. Mehrere Personen können nicht als für die juristische Person Handelnde benannt werden. Diese benannte Person wird neben der juristischen Person im Handelsregister eingetragen und falls die Verpflichtung zur Unterhaltung einer Internetseite besteht, auf dieser veröffentlicht. Die Amtszeit der Vorstandsmitglieder beträgt maximal 3 Jahre. Soweit in der Satzung nichts anderes vorgesehen ist, können die Vorstandsmitglieder nach Ablauf dieser Frist erneut gewählt werden. Der Vorstand wählt jedes Jahr aus seiner Mitte einen Vorstandsvorsitzenden und mindestens einen stellvertretenden Vorsitzenden. Neu geregelt wurden auch die Versammlungsvoraussetzungen des Vorstands. Sofern in der Satzung nichts anderes geregelt ist, ist für die Abhaltung einer Vorstandssitzung die einfache Mehrheit der Gesamtvorstandsmitglieder ausreichend. Entscheidungen werden, sofern die Satzung nichts anderes vorsieht, mit einfacher Mehrheit der bei der Vorstandssitzung anwesenden Stimmen getroffen. Bei Stimmengleichheit wird die Entscheidung auf die nächste Vorstandssitzung verschoben.

Sowohl Hauptversammlungen als auch Vorstandssitzungen können neuerdings in elektronischer Form unter Beachtung besonderer Vorschriften abgehalten werden. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, die Geschäftsführung teilweise oder im Ganzen auf ein Vorstandsmitglied oder mehrere Vorstandsmitglieder oder auf Dritte zu übertragen. Auch die Vertretungsmacht kann, vorausgesetzt dass mindestens ein Vorstandsmitglied die Vertretungsmacht beibehält, auf Dritte übertragen werden.

      ·       Unübertragbare Pflichten und Befugnisse

     Zu beachten ist allerdings, dass das neue Türkische Handelsgesetzbuch explizit auflistet, welche Pflichten und Befugnisse nicht übertragbar sind. Dazu gehören unter anderem die Hauptgeschäftsführung der Gesellschaft und die Erteilung damit zusammenhängender Weisungen; Festlegung der Geschäftsführungsorganisation; Aufbau der Buchhaltung, der Finanzaufsicht und der für die Geschäftsführung erforderlichen Organisation der Finanzplanung; Mitteilung an das Gericht im Falle einer Überschuldung. Die Verantwortung der Vorstandsmitglieder hat sich somit wesentlich erhöht.

      ·       Haftung

Man unterscheidet bei der AG zivilrechtliche und strafrechtliche Haftung und Haftung für öffentliche Forderungen. Je nachdem haften die Vorstandsmitglieder, die Gesellschaftsgründer oder Dritte. Die Aktionäre haften nur gegenüber der Gesellschaft in Höhe ihrer zugesicherten Anteile. Die Aktiengesellschaft haftet gegenüber Dritten lediglich in Höhe ihres Vermögens.

      ·       Strafrechtliche Haftung

Die strafrechtliche Haftung der Vorstandsmitglieder hat sich wesentlich erhöht, so dass bei Verstoß gegen bestimmte Pflichten mit Geld- und Freiheitsstrafen zu rechnen ist. So haften Vorstandsmitglieder beispielsweise bei Verletzung ihrer Buchführungspflichten, nicht ordnungsgemäßer Buchhaltung, Verletzung der Geheimhaltungspflicht, Fälschung von im Gesetz aufgelisteten Dokumenten, Verstoß gegen das Verschuldungsverbot etc. Zur besseren Absicherung von Vorstandsmitgliedern sieht das türkische Handelsrecht erstmals eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (Directors & Officers (D&O) Versicherung) für Vorstandsmitglieder vor, so dass zukünftig mit einem Anstieg dieser Versicherungsart zu rechnen ist.

      ·       Haftung für öffentliche Forderungen

Für öffentliche Forderungen wie Steuern, Steuerstrafen, Prozesskosten, Abgaben etc. haftet grundsätzlich die Aktiengesellschaft. Wenn die Gesellschaft als eigentliche Schuldnerin die öffentlichen Forderungen nicht oder nicht ausreichend vollständig begleicht oder begleichen kann, haften jedoch auch die Vorstandsmitglieder persönlich für öffentliche Forderungen, gesamtschuldnerisch und unbegrenzt. Eine Durchgriffshaftung auf die Aktionäre bei öffentlichen Forderungen gegen die Gesellschaft ist anders als bei der GmbH nicht vorgesehen. Insofern haftet ein Aktionär nur dann für öffentliche Forderungen, wenn er gleichzeitig auch Vorstandsmitglied der AG ist.

      ·       Gründungsunterlager

  Welche Unterlagen für die Gründung benötigt werden, hängt davon ab, ob es sich bei den Aktionären um natürliche oder juristische Personen handelt und welche Nationalität diese Personen besitzen. Insbesondere bei Gründungen mit ausländischer Beteiligung müssen Besonderheiten beachtet werden. Ferner muss bei manchen Gesellschaften eine Genehmigung des Ministeriums eingeholt werden (Banken, Factoringgesellschaften, Versicherungsgesellschaften etc.). Neben besonderen Unterlagen, welche je nach Gründungsstruktur erforderlich sind, sind neben einem Antrag beim zuständigen Handelsregister die mehrfache Ausfertigung einer notariell beglaubigten Satzung, Unterschriftenproben der zuständigen Personen, eine Gründererklärung, Einzahlungsnachweise etc. vorzulegen.

      III. Die GmbH (Limited Şirket)

Gesellschafter können sowohl türkische als auch ausländische natürliche oder juristische 
Personen sein. Die maximale Gesellschafterzahl beträgt 50 Gesellschafter. Auch bei der GmbH ist die Gründung einer Ein-Personen-Gesellschaft möglich. Das Mindeststammkapital beträgt 10.000 TL. Ein Anteil muss mindestens 25 TL betragen. Von dem Stammkapital müssen wie bei der AG 25 % bereits bei der Gründung und der Rest (75 %) innerhalb von 24 Monaten vollständig eingezahlt werden.

      ·       Organe

Die GmbH setzt sich aus 2 Organen zusammen, dem/n Geschäftsführer/n und der Hauptversammlung.

In der Hauptversammlung können die Gesellschafter ihre Rechte in Angelegenheiten der Gesellschaft ausüben. Man unterscheidet wie bei der AG zwischen ordentlicher und außerordentlicher Hauptversammlung. Außer bei wichtigen Entscheidungen, wie Kapitalerhöhung oder Firmensitzverlegung, werden die Entscheidungen in der Regel mit einfacher Mehrheit der in der Versammlung vorhandenen Stimmen getroffen.

Geschäftsführer können natürliche oder juristische, inländische oder ausländische Personen sein. Der Geschäftsführer muss nicht Gesellschafter der GmbH sein und benötigt, anders als zunächst vom Entwurf des neuen Türkischen Handelsgesetzbuches vorgesehen, keinen Wohnsitz in der Türkei. Die Geschäftsführung und Vertretung kann in der Satzung auf einen oder mehrere Gesellschafter oder alle Gesellschafter oder Dritte übertragen werden. Zu beachten ist allerdings, dass mindestens ein Gesellschafter geschäftsführungs- und vertretungsberechtigt sein muss, insofern ist anders als bei der AG eine vollkommene „Fremdgeschäftsführung“ nicht möglich. Sollte eine juristische Person als Geschäftsführer bestellt werden, muss diese Person eine natürliche Person benennen, welche im Namen der juristischen Person handelt. Sofern mehrere Geschäftsführer bestellt werden, wählen die Gesellschafter einen Vorsitzenden. Entscheidungen werden mit einfacher Mehrheit getroffen. Bei Stimmengleichheit ist anders als bei der AG die Stimme des Vorsitzenden vorrangig, soweit in der Satzung nichts anderes vereinbart wird.

Sowohl Hauptversammlungen als auch Geschäftsführerversammlungen können neuerdings in elektronischer Form unter Beachtung besonderer Vorschriften abgehalten werden.

      ·       Unübertragbare und unverzichtbare Pflichten

Ähnlich wie bei der AG existieren bei der GmbH unübertragbare und unverzichtbare Pflichten. Dazu gehören unter anderem die Verwaltung und Führung der Gesellschaft auf hoher Ebene und Erteilung der erforderlichen Weisungen; Festlegung der Geschäftsführungsorganisation der Gesellschaft im Rahmen des Gesetzes und der Satzung; Aufstellung der Buchhaltung, der finanziellen Aufsicht und der finanziellen Planung, sofern dies für die Geschäftsführung der Gesellschaft erforderlich ist; Überwachung von denjenigen Personen, welchen Teile der Geschäftsführung übertragen wurden, dahingehend, ob diese die Gesetze, die Satzung der Gesellschaft, interne Verordnungen und Anweisungen ordnungsgemäß befolgen; Mitteilung an das Gericht im Falle einer Überschuldung.

      ·       Haftung

    Auch bei der GmbH existieren Haftungsregelungen, die beachtet werden müssen. Das Gesetz verweist insofern auf einige der Haftungsregelungen der Aktiengesellschaft.

      ·       Haftung für öffentliche Forderungen

      Für Schulden der Gesellschaft haftet grundsätzlich die Gesellschaft. Für den Fall, dass die GmbH ihre öffentlichen Forderungen nicht oder nicht vollständig begleicht oder begleichen kann, haften die Geschäftsführer persönlich gesamtschuldnerisch und unbegrenzt. Anders als bei der Aktiengesellschaft haften ferner die Gesellschafter bis zur Höhe ihrer prozentualen Beteiligung an der Gesellschaft unmittelbar. Im Falle einer Anteilsübertragung haften sowohl der alte als auch der neue Anteilsinhaber gesamtschuldnerisch für öffentliche Forderungen, sofern diese vor der Anteilsübertragung erwachsen sind.

      ·       Gründungsunterlagen

  Welche Unterlagen für die Gründung benötigt werden, hängt davon ab, ob es sich bei den Gesellschaftern um natürliche oder juristische Personen handelt und welche Nationalität diese Personen besitzen. Bei ausländischer Beteiligung herrschen Besonderheiten. Zusätzlich zu den besonderen Unterlagen, welche je nach Gründungsstruktur erforderlich sind, sind neben einem Antrag beim zuständigen Handelsregister auch die mehrfache Ausfertigung einer notariell beglaubigten Satzung, Unterschriftenproben der zuständigen Personen, eine Gründererklärung, Einzahlungsnachweise etc. vorzulegen. 

Für weitere Informationen setzen Sie sich bitte mit unserer Anwaltskanzlei und Rechtsberatungsfirma in Verbindung.

      Suzan Karakivrak, LL.M.

Rechtsanwältin

General Manager

 

 

Arbeitsleben in der Türkei

Wenn sich ausländische Unternehmen in der Türkei wirtschaftlich betätigen, sind für die Investoren neben gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Aspekten auch die arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen von großer Bedeutung. Als
potentieller Arbeitgeber in der Türkei hat man die türkischen Vorschriften zu beachten. Auch wenn das türkische Arbeitsrecht einige Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Arbeitsrecht aufweist, so ist es doch in vielen Bereichen anders. Die folgenden Ausführungen sollen nun einen komprimierten Überblick über das Arbeitsleben in der Türkei ermöglichen.

Das Individualarbeitsrecht in der Türkei wird im Wesentlichen durch das Gesetz Nr. 4857 vom 22.05.2003 (ArbG) geregelt. Flankiert und ergänzt wird dieses Gesetz durch zahlreiche Verordnungen. Für bestimmte Berufsgruppen (Beamte, Seeleute, Journalisten etc.) bestehen Sondervorschriften/gesetze.

  • Begründung des Arbeitsverhältnisses

Für die Begründung von Arbeitsverhältnissen besteht grundsätzlich kein Schriftformerfordernis. Arbeitsverhältnisse können mündlich, schriftlich oder gar stillschweigend begründet werden. Arbeitsverträge können auf unbestimmte Zeit oder unter bestimmten Voraussetzungen befristet abgeschlossen werden. Arbeitsverträge über ein Jahr und länger bedürfen allerdings der Schriftform. Im Übrigen empfiehlt sich aus Beweisgründen immer die Einhaltung der Schriftform.

  • Probezeit

Es kann eine Probezeit für eine Dauer von maximal zwei Monaten vereinbart werden. Längere Probezeiten (maximal 4 Monate) können in Tarifverträgen vereinbart werden.

  • Wochenarbeitszeit

Die Wochenarbeitszeit beträgt maximal 45 Stunden. Das Gesetz sieht ein jährliches Maximum von 270 Überstunden im Jahr vor. Solche Überstunden sind mit Lohnzuschlägen von 50 % des regulär auf eine Stunde entfallenden Entgelts zu vergüten. Bei einer vertraglichen Wochenarbeitszeit von weniger als 45 Stunden, werden Mehrstunden mit Lohnzuschlägen von 25 % des regulär auf eine Stunde entfallenden Entgelts vergütet. Man spricht von sogenannter Mehrarbeit. Der Arbeitnehmer ist auch berechtigt, diese Überstunden oder Mehrarbeit mit Freizeit abzugelten, so dass er für jede Überstunde 1 Stunde und 30 Minuten und für jede Stunde Mehrarbeit 1 Stunde und 15 Minuten Freizeit erhält. Die erarbeitete Freizeit ist jedoch innerhalb von 6 Monaten innerhalb der Arbeitszeiten und ohne Kürzung des Entgelts zu nutzen.

  • Löhne und Gehälter

Im Vergleich zu den meisten westeuropäischen Ländern sind die Löhne und Gehälter in der Türkei deutlich niedriger. Sie sind jedoch nicht mit Niedriggehältern wie in China oder Indien zu vergleichen. Was die Arbeitskosten in der verarbeitenden Industrie angeht, gehört das Land jedoch verglichen mit anderen Staaten Osteuropas zu den relativ teuren Standorten.
Neben den eigentlichen Löhnen/Gehältern sind in der Türkei zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers wie Bezahlung des Mittagessens, ggfs. Zurverfügungstellung von Arbeitskleidung, Fahrtkostenbeteiligung oder Bereitstellung eines Transports zum Arbeitsplatz etc. sehr gebräuchlich. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu besteht allerdings nicht. Viele türkische Betriebe gewähren ihren Arbeitnehmern darüber hinaus Gratifikationen und Prämien als freiwillige Zulagen.

Größere und internationale Unternehmen gewähren ihren Arbeitgebern oftmals privaten Krankenversicherungsschutz.

  • Mindestlohn

In der Türkei existiert ein gesetzlich verankerter Mindestlohn, welcher 2 Mal im Jahr (jeweils zum 1.1. und 1.7.) angepasst wird. Für das zweite Halbjahr 2022 gilt ein Satz von 6.471,- TL brutto. Der Arbeitnehmer erhält in diesem Falle 5.500,35 TL Netto.

  • Sozialversicherung

Der Arbeitgeber muss neu eingestellte Arbeitnehmer spätestens einen Tag vor der Arbeitsaufnahme bei der Sozialversicherungsanstalt (SGK) anmelden.

  • Sozialbeiträge 2022 (in % der Bemessungsgrundlage)

Die Sozialversicherungsbeiträge und Arbeitslosenversicherung werden nicht über das Bruttogehalt, sondern über die Sozialversicherungs-Grundlage (monatliche Gehaltsobergrenze derzeit 37.530 TL) berechnet und betragen derzeit 37,5 %. Der Arbeitgeber trägt davon 22,5 % und der Arbeitnehmer 15 %. Bei Rentnern, die beschäftigt werden, beträgt der Anteil insgesamt 32 %, wobei der Arbeitgeber davon 24,5 % trägt. Der Arbeitgeber zieht die Arbeitnehmeranteile an den Prämien vom Gehalt ab und führt diese gemeinsam mit den Arbeitgeberanteilen an die Sozialversicherungsanstalt ab.

  • Urlaub und gesetzliche Feiertage

Gemäß dem türkischen Arbeitsgesetz erwächst der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers erstmalig nach einer einjährigen Wartefrist. Im ersten Arbeitsjahr besteht somit kein Anspruch auf Urlaub. Individualvertraglich kann allerdings ein solches Recht vereinbart werden. Danach stehen dem Arbeitnehmer vom ersten bis einschließlich zum 5. Jahr der Betriebszugehörigkeit 14 Tage; vom 6. bis zum 15. Jahr 20 Urlaubstage und ab einschließlich 15 Jahren 26 Urlaubstage zu. Ausnahmeregelungen bestehen bei Minderjährigen und Arbeitnehmern über 50 Jahren. Bei diesen darf der bezahlte Jahresurlaub nicht weniger als 20 Tage betragen.  Hinzu kommen die gesetzlichen (nationalen und religiösen) Feiertage. Eine vertragliche Urlaubsregelungsvereinbarung zu Gunsten des Arbeitgebers ist möglich und gerade bei internationalen Betrieben auch üblich.

  • Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen

Bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen muss man zwischen ordentlicher/außerordentlicher Kündigung, der einvernehmlichen Aufhebung, der Beendigung durch Tod oder bei befristeten Verträgen durch Fristablauf unterscheiden.

Wurde eine Probezeit vereinbart, ist das Arbeitsverhältnis während dieser Probezeit frei und ohne Kündigungsfrist kündbar.

  • Ordentliche Kündigung bei unbefristeten Arbeitsverträgen

Die Kündigungsfrist richtet sich nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses:

§  0 – 6 Monaten:           2 Wochen

§  6 – 18 Monaten:         4 Wochen

§  18 – 36 Monaten:       6 Wochen

§  Ab 36 Monaten:        8 Wochen

Sollte diese Frist nicht eingehalten werden, da die sofortige Beendigung gewünscht ist, ist eine entsprechende Abfindung zu zahlen (ihbar tazminatı).

Im Normalfall bedarf es zur ordentlichen Kündigung keines besonderen Grundes. Bei Betrieben mit mehr als 30 Arbeitnehmern und einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 6 Monaten gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Es muss ein Kündigungsgrund für die Kündigung eines Arbeitgebers seitens des Arbeitgebers vorliegen. Keine anerkannten Kündigungsgründe sind z.B. Mitgliedschaft und Aktivität in einer Gewerkschaft, Zugehörigkeit zu einer religiösen oder ethnischen Gruppe, Familienstand, politische Weltanschauung oder das Geschlecht. Befristete Arbeitsverhältnisse können nur aus wichtigem Grund gekündigt werden (außerordentliche Kündigung).

  • Außerordentliche Kündigung bei befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen

Erforderlich ist ein zur außerordentlichen Kündigung berechtigender Grund. Solche Gründe können zum Beispiel gesundheitliche Umstände, unterschiedliche Tatbestände an grobem Fehlverhalten der anderen Seite oder bestimmte Erscheinungsformen
höherer Gewalt sein.

  • Verfahren

Der Arbeitgeber hat die Kündigung schriftlich auszusprechen und in dieser die Gründe klar und deutlich dazulegen. Für bestimmte Kündigungsgründe bestehen darüber hinaus weitere Voraussetzungen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, gegen die vom Arbeitgeber ausgesprochene schriftliche Kündigung innerhalb eines Monats Kündigungsschutzklage zu erheben, wenn eine Kündigung ohne Angabe von Kündigungsgründen vorliegt oder bei Fehlen eines anerkannten Kündigungsgrundes. Sollte der Arbeitnehmer die Klage gewinnen, muss er je nachdem entweder wieder eingestellt werden oder der Arbeitgeber muss an diesen eine Entschädigung zahlen. Ferner existieren Entschädigungsansprüche für die ausgefallene Arbeitszeit. Diese Möglichkeit der Einlegung einer Klage auf Wiedereinstellung gilt allerdings nur für Arbeitnehmer, für welche der oben angesprochene besondere Kündigungsschutz gilt. Vor Anrufung des Gerichts ist ein obligatorisches Schiedsverfahren durchzuführen. Oftmals werden die Streitigkeiten in diesem gelöst, so dass es keines Gerichtsverfahrens bedarf.

  • Entschädigung/Abfindung

Anders als in vielen anderen Ländern existiert in der Türkei eine Entschädigungsregelung, welche beim Ausscheiden von Arbeitnehmern in bestimmten Fällen zum Tragen kommt, wenn diese mindestens zwölf Monate ununterbrochen beschäftigt waren. Für jedes vollendete Arbeitsjahr erhält der Arbeitnehmer ein Brutto-Monatsgehalt als Abfindung (kıdem tazminatı). Dabei besteht eine jährlich aktualisierte Obergrenze. Derzeit liegt diese bei 15.371,40 TL Brutto.

Ferner können Arbeitnehmer eine (Dienstalters)entschädigung insbesondere dann verlangen, wenn sie selbst aus berechtigten Gründen (obligatorischer Wehrdienst, Rente, Eheschließung von weiblichen Arbeitnehmern) oder gestützt auf rechtfertigende Gründe wie gesundheitliche, ehrverletzende oder gegen die guten Sitten verstoßende Situationen und Ähnlichem oder aus zwingenden Gründen fristlos gekündigt haben.

  • Wettbewerbsverbote

Für laufende Vertragsverhältnisse können Wettbewerbsverbote vereinbart werden. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote unterliegen der Schriftform und entfalten indes nur unter eingeschränkten Voraussetzungen (lokale und zeitliche Beschränkung und Angabe eines konkreten Tätigkeitsfelds) Wirkung. Sie können maximal für die Dauer von zwei Jahren vereinbart werden, müssen hinreichend bestimmt sein und setzen unter anderem einen drohenden Schaden für den Arbeitgeber voraus.

Für weitere Informationen setzen Sie sich bitte mit unserer Anwaltskanzlei und Rechtsberatungsfirma in Verbindung.

Suzan Karakivrak, LL.M.
Rechtsanwältin
General Manager

Aufgaben des Arbeitnehmervertreters und Verpflichtungen des Arbeitgebers

Gemäß Artikel 3 des Arbeits- und Gesundheitsschutzgesetzes Nummer 6331 ist ein “Arbeitnehmervertreter” ein Arbeitnehmer, der berechtigt ist, die anderen Arbeitnehmer in Hinsicht auf die Teilnahme an Tätigkeiten bezüglich der Arbeitsgesundheit und – sicherheit, die Verfolgung der Tätigkeiten, die Beantragung des Ergreifens von Maßnahmen, Unterbreitung von Vorschlägen und ähnlichen Themen zu vertreten. Das Ziel des
Einsatzes des Arbeitnehmervertreters ist die Gewährleistung der Fortsetzung von Tätigkeiten hinsichtlich Arbeitsgesundheit und – sicherheit am Arbeitsplatz sowie der Wirksamkeit der Teilnahme und der ausgeglichenen Vertretung in der Arbeitsumgebung.

  • Bestimmung des Vertreters

    Der Arbeitnehmervertreter dient als eine Brücke zwischen den Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber am Arbeitsplatz. Die Vertreter, die diese Aufgabe von höchster Bedeutung ausüben werden, werden aus den Arbeitnehmern am Arbeitsplatz durch Wahlen bestimmt, falls keine ermächtigte Gewerkschaft vorliegt (falls Gewerkschaftsvertreter vorhanden sind, werden diese als Arbeitnehmervertreter beauftragt). In diesem Fall gewährt der Arbeitgeber für die Bewerbungen der Kandidaten eine Frist von mindestens sieben Tagen. Diese wird am Arbeitsplatz verkündet. Arbeitnehmervertreter, die mindestens Mittelschulabsolventen sind, über eine Arbeitserfahrung von 3 Jahren verfügen und ganztagsbeschäftigt sind, können sich bewerben. Der/die Kandidat/in oder die Kandidaten, welche die meisten Stimmen erhalten, werden als einzelner Arbeitnehmervertreter oder mehrere Arbeitnehmervertreter verkündet. Falls in der Firma kein Arbeitnehmervertreterkandidat gefunden werden kann, beauftragt der Arbeitgeber eine ausreichende Anzahl an Arbeitnehmervertretern durch Ernennung.

    Die Anzahl der am Arbeitsplatz zu beauftragenden Arbeitnehmervertreter wird wie folgt bestimmt:

    a) an Arbeitsplätzen mit 2 bis 50 Arbeitnehmern, ein Arbeitnehmervertreter
    b) an Arbeitsplätzen mit 51 bis 100 Arbeitnehmern, zwei Arbeitnehmervertreter
    c) an Arbeitsplätzen mit 101 bis 500 Arbeitnehmern, drei Arbeitnehmervertreter
    d) an Arbeitsplätzen mit 501 bis 1.000 Arbeitnehmern, vier Arbeitnehmervertreter
    e) an Arbeitsplätzen mit 1.001 bis 2.000 Arbeitnehmern, fünf Arbeitnehmervertreter
    f) an Arbeitsplätzen mit 2.001 und mehr Arbeitnehmern, sechs Arbeitnehmervertreter

  • Berechtigung und Verpflichtung des Arbeitnehmervertreters

    Der Arbeitnehmervertreter ist berechtigt, die Arbeitnehmer in Hinsicht auf die Teilnahme an Tätigkeiten bezüglich der Arbeitsgesundheit und –sicherheit, die Verfolgung der Tätigkeiten, die Beantragung des Ergreifens von Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahrenursachen oder zur Verminderung des gefahrenbedingten Risikos, Unterbreitung von Vorschlägen und ähnlichen Themen, zu vertreten. Die Rechte des Arbeitnehmervertreters können aufgrund seiner Aufgabenerfüllung nicht eingeschränkt werden. Der Arbeitnehmervertreter ist verpflichtet, die von ihm aufgrund seiner Aufgabe erfahrenen Berufsgeheimnisse des Arbeitgebers oder des Arbeitsplatzes, sowie die von ihm gesehenen, erfahrenen Belange und die persönlichen Informationen über Arbeitnehmer geheim zu halten.

  • Verpflichtungen des Arbeitgebers

    Der Arbeitgeber wird eine ausreichende Anzahl an Arbeitnehmervertretern durch Wahl aus den Arbeitnehmern oder, falls sie durch Wahl nicht bestimmt werden können, durch Ernennung beauftragen unter Berücksichtigung der Risiken am Arbeitsplatz und eine ausgeglichene Aufteilung entsprechend der Arbeitnehmeranzahl. Der Arbeitgeber stellt dem Arbeitnehmervertreter die erforderlichen Mittel zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung. Falls eine ermächtigte Gewerkschaft am Arbeitsplatz vorliegt, beauftragt der Arbeitgeber den Gewerkschaftsvertreter als Arbeitnehmervertreter. Alle erforderlichen Tätigkeiten und Maßnahmen in Hinsicht auf die Wahl oder Ernennung des Arbeitnehmervertreters werden vom Arbeitgeber durchgeführt. Der Arbeitgeber gibt die durch Wahl oder Ernennung beauftragten Arbeitnehmervertreter am Arbeitsplatz bekannt.

    Arbeitgeber müssen sich darüber bewusst sein, dass sie sich strafbar machen, falls sie diese Verpflichtungen nicht erfüllen oder keinen Arbeitnehmervertreter beauftragen. Für weitere Informationen über das Wahlverfahren des gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitnehmervertreters und über die Verantwortungen des Arbeitgebers setzen Sie sich bitte mit unserer Anwaltskanzlei und Rechtsberatungsfirma in Verbindung.
Suzan Karakivrak, LL.M.
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