Arbeitsleben in der Türkei

Wenn sich ausländische Unternehmen in der Türkei wirtschaftlich betätigen, sind für die Investoren neben gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Aspekten auch die arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen von großer Bedeutung. Als
potentieller Arbeitgeber in der Türkei hat man die türkischen Vorschriften zu beachten. Auch wenn das türkische Arbeitsrecht einige Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Arbeitsrecht aufweist, so ist es doch in vielen Bereichen anders. Die folgenden Ausführungen sollen nun einen komprimierten Überblick über das Arbeitsleben in der Türkei ermöglichen.

Das Individualarbeitsrecht in der Türkei wird im Wesentlichen durch das Gesetz Nr. 4857 vom 22.05.2003 (ArbG) geregelt. Flankiert und ergänzt wird dieses Gesetz durch zahlreiche Verordnungen. Für bestimmte Berufsgruppen (Beamte, Seeleute, Journalisten etc.) bestehen Sondervorschriften/gesetze.

  • Begründung des Arbeitsverhältnisses

Für die Begründung von Arbeitsverhältnissen besteht grundsätzlich kein Schriftformerfordernis. Arbeitsverhältnisse können mündlich, schriftlich oder gar stillschweigend begründet werden. Arbeitsverträge können auf unbestimmte Zeit oder unter bestimmten Voraussetzungen befristet abgeschlossen werden. Arbeitsverträge über ein Jahr und länger bedürfen allerdings der Schriftform. Im Übrigen empfiehlt sich aus Beweisgründen immer die Einhaltung der Schriftform.

  • Probezeit

Es kann eine Probezeit für eine Dauer von maximal zwei Monaten vereinbart werden. Längere Probezeiten (maximal 4 Monate) können in Tarifverträgen vereinbart werden.

  • Wochenarbeitszeit

Die Wochenarbeitszeit beträgt maximal 45 Stunden. Das Gesetz sieht ein jährliches Maximum von 270 Überstunden im Jahr vor. Solche Überstunden sind mit Lohnzuschlägen von 50 % des regulär auf eine Stunde entfallenden Entgelts zu vergüten. Bei einer vertraglichen Wochenarbeitszeit von weniger als 45 Stunden, werden Mehrstunden mit Lohnzuschlägen von 25 % des regulär auf eine Stunde entfallenden Entgelts vergütet. Man spricht von sogenannter Mehrarbeit. Der Arbeitnehmer ist auch berechtigt, diese Überstunden oder Mehrarbeit mit Freizeit abzugelten, so dass er für jede Überstunde 1 Stunde und 30 Minuten und für jede Stunde Mehrarbeit 1 Stunde und 15 Minuten Freizeit erhält. Die erarbeitete Freizeit ist jedoch innerhalb von 6 Monaten innerhalb der Arbeitszeiten und ohne Kürzung des Entgelts zu nutzen.

  • Löhne und Gehälter

Im Vergleich zu den meisten westeuropäischen Ländern sind die Löhne und Gehälter in der Türkei deutlich niedriger. Sie sind jedoch nicht mit Niedriggehältern wie in China oder Indien zu vergleichen. Was die Arbeitskosten in der verarbeitenden Industrie angeht, gehört das Land jedoch verglichen mit anderen Staaten Osteuropas zu den relativ teuren Standorten.
Neben den eigentlichen Löhnen/Gehältern sind in der Türkei zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers wie Bezahlung des Mittagessens, ggfs. Zurverfügungstellung von Arbeitskleidung, Fahrtkostenbeteiligung oder Bereitstellung eines Transports zum Arbeitsplatz etc. sehr gebräuchlich. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu besteht allerdings nicht. Viele türkische Betriebe gewähren ihren Arbeitnehmern darüber hinaus Gratifikationen und Prämien als freiwillige Zulagen.

Größere und internationale Unternehmen gewähren ihren Arbeitgebern oftmals privaten Krankenversicherungsschutz.

  • Mindestlohn

In der Türkei existiert ein gesetzlich verankerter Mindestlohn, welcher 2 Mal im Jahr (jeweils zum 1.1. und 1.7.) angepasst wird. Für das zweite Halbjahr 2022 gilt ein Satz von 6.471,- TL brutto. Der Arbeitnehmer erhält in diesem Falle 5.500,35 TL Netto.

  • Sozialversicherung

Der Arbeitgeber muss neu eingestellte Arbeitnehmer spätestens einen Tag vor der Arbeitsaufnahme bei der Sozialversicherungsanstalt (SGK) anmelden.

  • Sozialbeiträge 2022 (in % der Bemessungsgrundlage)

Die Sozialversicherungsbeiträge und Arbeitslosenversicherung werden nicht über das Bruttogehalt, sondern über die Sozialversicherungs-Grundlage (monatliche Gehaltsobergrenze derzeit 37.530 TL) berechnet und betragen derzeit 37,5 %. Der Arbeitgeber trägt davon 22,5 % und der Arbeitnehmer 15 %. Bei Rentnern, die beschäftigt werden, beträgt der Anteil insgesamt 32 %, wobei der Arbeitgeber davon 24,5 % trägt. Der Arbeitgeber zieht die Arbeitnehmeranteile an den Prämien vom Gehalt ab und führt diese gemeinsam mit den Arbeitgeberanteilen an die Sozialversicherungsanstalt ab.

  • Urlaub und gesetzliche Feiertage

Gemäß dem türkischen Arbeitsgesetz erwächst der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers erstmalig nach einer einjährigen Wartefrist. Im ersten Arbeitsjahr besteht somit kein Anspruch auf Urlaub. Individualvertraglich kann allerdings ein solches Recht vereinbart werden. Danach stehen dem Arbeitnehmer vom ersten bis einschließlich zum 5. Jahr der Betriebszugehörigkeit 14 Tage; vom 6. bis zum 15. Jahr 20 Urlaubstage und ab einschließlich 15 Jahren 26 Urlaubstage zu. Ausnahmeregelungen bestehen bei Minderjährigen und Arbeitnehmern über 50 Jahren. Bei diesen darf der bezahlte Jahresurlaub nicht weniger als 20 Tage betragen.  Hinzu kommen die gesetzlichen (nationalen und religiösen) Feiertage. Eine vertragliche Urlaubsregelungsvereinbarung zu Gunsten des Arbeitgebers ist möglich und gerade bei internationalen Betrieben auch üblich.

  • Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen

Bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen muss man zwischen ordentlicher/außerordentlicher Kündigung, der einvernehmlichen Aufhebung, der Beendigung durch Tod oder bei befristeten Verträgen durch Fristablauf unterscheiden.

Wurde eine Probezeit vereinbart, ist das Arbeitsverhältnis während dieser Probezeit frei und ohne Kündigungsfrist kündbar.

  • Ordentliche Kündigung bei unbefristeten Arbeitsverträgen

Die Kündigungsfrist richtet sich nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses:

§  0 – 6 Monaten:           2 Wochen

§  6 – 18 Monaten:         4 Wochen

§  18 – 36 Monaten:       6 Wochen

§  Ab 36 Monaten:        8 Wochen

Sollte diese Frist nicht eingehalten werden, da die sofortige Beendigung gewünscht ist, ist eine entsprechende Abfindung zu zahlen (ihbar tazminatı).

Im Normalfall bedarf es zur ordentlichen Kündigung keines besonderen Grundes. Bei Betrieben mit mehr als 30 Arbeitnehmern und einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 6 Monaten gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Es muss ein Kündigungsgrund für die Kündigung eines Arbeitgebers seitens des Arbeitgebers vorliegen. Keine anerkannten Kündigungsgründe sind z.B. Mitgliedschaft und Aktivität in einer Gewerkschaft, Zugehörigkeit zu einer religiösen oder ethnischen Gruppe, Familienstand, politische Weltanschauung oder das Geschlecht. Befristete Arbeitsverhältnisse können nur aus wichtigem Grund gekündigt werden (außerordentliche Kündigung).

  • Außerordentliche Kündigung bei befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen

Erforderlich ist ein zur außerordentlichen Kündigung berechtigender Grund. Solche Gründe können zum Beispiel gesundheitliche Umstände, unterschiedliche Tatbestände an grobem Fehlverhalten der anderen Seite oder bestimmte Erscheinungsformen
höherer Gewalt sein.

  • Verfahren

Der Arbeitgeber hat die Kündigung schriftlich auszusprechen und in dieser die Gründe klar und deutlich dazulegen. Für bestimmte Kündigungsgründe bestehen darüber hinaus weitere Voraussetzungen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, gegen die vom Arbeitgeber ausgesprochene schriftliche Kündigung innerhalb eines Monats Kündigungsschutzklage zu erheben, wenn eine Kündigung ohne Angabe von Kündigungsgründen vorliegt oder bei Fehlen eines anerkannten Kündigungsgrundes. Sollte der Arbeitnehmer die Klage gewinnen, muss er je nachdem entweder wieder eingestellt werden oder der Arbeitgeber muss an diesen eine Entschädigung zahlen. Ferner existieren Entschädigungsansprüche für die ausgefallene Arbeitszeit. Diese Möglichkeit der Einlegung einer Klage auf Wiedereinstellung gilt allerdings nur für Arbeitnehmer, für welche der oben angesprochene besondere Kündigungsschutz gilt. Vor Anrufung des Gerichts ist ein obligatorisches Schiedsverfahren durchzuführen. Oftmals werden die Streitigkeiten in diesem gelöst, so dass es keines Gerichtsverfahrens bedarf.

  • Entschädigung/Abfindung

Anders als in vielen anderen Ländern existiert in der Türkei eine Entschädigungsregelung, welche beim Ausscheiden von Arbeitnehmern in bestimmten Fällen zum Tragen kommt, wenn diese mindestens zwölf Monate ununterbrochen beschäftigt waren. Für jedes vollendete Arbeitsjahr erhält der Arbeitnehmer ein Brutto-Monatsgehalt als Abfindung (kıdem tazminatı). Dabei besteht eine jährlich aktualisierte Obergrenze. Derzeit liegt diese bei 15.371,40 TL Brutto.

Ferner können Arbeitnehmer eine (Dienstalters)entschädigung insbesondere dann verlangen, wenn sie selbst aus berechtigten Gründen (obligatorischer Wehrdienst, Rente, Eheschließung von weiblichen Arbeitnehmern) oder gestützt auf rechtfertigende Gründe wie gesundheitliche, ehrverletzende oder gegen die guten Sitten verstoßende Situationen und Ähnlichem oder aus zwingenden Gründen fristlos gekündigt haben.

  • Wettbewerbsverbote

Für laufende Vertragsverhältnisse können Wettbewerbsverbote vereinbart werden. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote unterliegen der Schriftform und entfalten indes nur unter eingeschränkten Voraussetzungen (lokale und zeitliche Beschränkung und Angabe eines konkreten Tätigkeitsfelds) Wirkung. Sie können maximal für die Dauer von zwei Jahren vereinbart werden, müssen hinreichend bestimmt sein und setzen unter anderem einen drohenden Schaden für den Arbeitgeber voraus.

Für weitere Informationen setzen Sie sich bitte mit unserer Anwaltskanzlei und Rechtsberatungsfirma in Verbindung.

Suzan Karakivrak, LL.M.
Rechtsanwältin
General Manager

Aufgaben des Arbeitnehmervertreters und Verpflichtungen des Arbeitgebers

Gemäß Artikel 3 des Arbeits- und Gesundheitsschutzgesetzes Nummer 6331 ist ein “Arbeitnehmervertreter” ein Arbeitnehmer, der berechtigt ist, die anderen Arbeitnehmer in Hinsicht auf die Teilnahme an Tätigkeiten bezüglich der Arbeitsgesundheit und – sicherheit, die Verfolgung der Tätigkeiten, die Beantragung des Ergreifens von Maßnahmen, Unterbreitung von Vorschlägen und ähnlichen Themen zu vertreten. Das Ziel des
Einsatzes des Arbeitnehmervertreters ist die Gewährleistung der Fortsetzung von Tätigkeiten hinsichtlich Arbeitsgesundheit und – sicherheit am Arbeitsplatz sowie der Wirksamkeit der Teilnahme und der ausgeglichenen Vertretung in der Arbeitsumgebung.

  • Bestimmung des Vertreters

    Der Arbeitnehmervertreter dient als eine Brücke zwischen den Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber am Arbeitsplatz. Die Vertreter, die diese Aufgabe von höchster Bedeutung ausüben werden, werden aus den Arbeitnehmern am Arbeitsplatz durch Wahlen bestimmt, falls keine ermächtigte Gewerkschaft vorliegt (falls Gewerkschaftsvertreter vorhanden sind, werden diese als Arbeitnehmervertreter beauftragt). In diesem Fall gewährt der Arbeitgeber für die Bewerbungen der Kandidaten eine Frist von mindestens sieben Tagen. Diese wird am Arbeitsplatz verkündet. Arbeitnehmervertreter, die mindestens Mittelschulabsolventen sind, über eine Arbeitserfahrung von 3 Jahren verfügen und ganztagsbeschäftigt sind, können sich bewerben. Der/die Kandidat/in oder die Kandidaten, welche die meisten Stimmen erhalten, werden als einzelner Arbeitnehmervertreter oder mehrere Arbeitnehmervertreter verkündet. Falls in der Firma kein Arbeitnehmervertreterkandidat gefunden werden kann, beauftragt der Arbeitgeber eine ausreichende Anzahl an Arbeitnehmervertretern durch Ernennung.

    Die Anzahl der am Arbeitsplatz zu beauftragenden Arbeitnehmervertreter wird wie folgt bestimmt:

    a) an Arbeitsplätzen mit 2 bis 50 Arbeitnehmern, ein Arbeitnehmervertreter
    b) an Arbeitsplätzen mit 51 bis 100 Arbeitnehmern, zwei Arbeitnehmervertreter
    c) an Arbeitsplätzen mit 101 bis 500 Arbeitnehmern, drei Arbeitnehmervertreter
    d) an Arbeitsplätzen mit 501 bis 1.000 Arbeitnehmern, vier Arbeitnehmervertreter
    e) an Arbeitsplätzen mit 1.001 bis 2.000 Arbeitnehmern, fünf Arbeitnehmervertreter
    f) an Arbeitsplätzen mit 2.001 und mehr Arbeitnehmern, sechs Arbeitnehmervertreter

  • Berechtigung und Verpflichtung des Arbeitnehmervertreters

    Der Arbeitnehmervertreter ist berechtigt, die Arbeitnehmer in Hinsicht auf die Teilnahme an Tätigkeiten bezüglich der Arbeitsgesundheit und –sicherheit, die Verfolgung der Tätigkeiten, die Beantragung des Ergreifens von Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahrenursachen oder zur Verminderung des gefahrenbedingten Risikos, Unterbreitung von Vorschlägen und ähnlichen Themen, zu vertreten. Die Rechte des Arbeitnehmervertreters können aufgrund seiner Aufgabenerfüllung nicht eingeschränkt werden. Der Arbeitnehmervertreter ist verpflichtet, die von ihm aufgrund seiner Aufgabe erfahrenen Berufsgeheimnisse des Arbeitgebers oder des Arbeitsplatzes, sowie die von ihm gesehenen, erfahrenen Belange und die persönlichen Informationen über Arbeitnehmer geheim zu halten.

  • Verpflichtungen des Arbeitgebers

    Der Arbeitgeber wird eine ausreichende Anzahl an Arbeitnehmervertretern durch Wahl aus den Arbeitnehmern oder, falls sie durch Wahl nicht bestimmt werden können, durch Ernennung beauftragen unter Berücksichtigung der Risiken am Arbeitsplatz und eine ausgeglichene Aufteilung entsprechend der Arbeitnehmeranzahl. Der Arbeitgeber stellt dem Arbeitnehmervertreter die erforderlichen Mittel zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung. Falls eine ermächtigte Gewerkschaft am Arbeitsplatz vorliegt, beauftragt der Arbeitgeber den Gewerkschaftsvertreter als Arbeitnehmervertreter. Alle erforderlichen Tätigkeiten und Maßnahmen in Hinsicht auf die Wahl oder Ernennung des Arbeitnehmervertreters werden vom Arbeitgeber durchgeführt. Der Arbeitgeber gibt die durch Wahl oder Ernennung beauftragten Arbeitnehmervertreter am Arbeitsplatz bekannt.

    Arbeitgeber müssen sich darüber bewusst sein, dass sie sich strafbar machen, falls sie diese Verpflichtungen nicht erfüllen oder keinen Arbeitnehmervertreter beauftragen. Für weitere Informationen über das Wahlverfahren des gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitnehmervertreters und über die Verantwortungen des Arbeitgebers setzen Sie sich bitte mit unserer Anwaltskanzlei und Rechtsberatungsfirma in Verbindung.
Suzan Karakivrak, LL.M.
Rechtsanwältin
General Manager