Gesellschaftsgründung in der Türkei nach dem neuen türkischen Handelsgesetzbuch

I. Einführung

Mit Inkrafttreten des neuen Türkischen Handelsgesetzbuches (Gesetz Nr. 6102) am 1. Juli 2012 und unter Berücksichtigung des am selben Tage in Kraft getretenen Änderungsgesetzes (Gesetz Nr. 6335) wurde das türkische Handelsrecht, insbesondere das Gesellschaftsrecht, wesentlichen Änderungen unterzogen. Das neue Gesetz löst mit seinen mehr als 1.500 Artikeln das 1957 in Kraft getretene Handelsgesetz ab und verbessert durch Anpassung an internationale Standards und Schaffung von Transparenz die Rahmenbedingungen für ausländische Investoren. Zusammen mit dem bereits seit 2003 in Kraft getretenen Gesetz über “ausländische Direktinvestitionen” (Gesetz Nr. 4875), nach welchem ausländische und inländische Investoren gleichgestellt werden, macht das neue Türkische Handelsgesetzbuch den Einstieg in den türkischen Markt noch einfacher und praktikabler. In Artikel 124 des neuen Türkischen Handelsgesetzbuches werden die in der Türkei möglichen Handelsgesellschaftsformen konkret aufgelistet. Danach zählen Kollektivgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Aktiengesellschaft (AG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und Genossenschaft zu den Handelsgesellschaften. Während Kollektiv- und Kommanditgesellschaft als Personengesellschaften eingeordnet werden, stellen AG, GmbH und Kommanditgesellschaft auf Aktien, Kapitalgesellschaften dar. Anders als im deutschen Recht besitzen neben der AG und GmbH auch alle anderen Handelsgesellschaften den Status einer juristischen Person. Da von ausländischen Investoren die AG (Anonim Şirket) und die GmbH (Limited Şirket) zu den bevorzugten und praktikabelsten Gesellschaftsformen gehören, beschränken sich weitere Ausführungen auf diese beiden Gesellschaftstypen. Investoren haben bei der Gründung bis auf wenige Tätigkeitsbereiche, in welchen zwingend die Gründung einer Aktiengesellschaft oder Genossenschaft vorgeschrieben ist (z.B. Banken, Versicherungsgesellschaften), freie Wahl, ob sie eine AG oder eine GmbH gründen. 

 II. Die AG (Anonim Şirket)

Die Aktiengesellschaft besitzt ein in Aktien zerlegtes Grundkapital. Das Mindestgrundkapital beträgt 50.000 TL. Ratsam ist es allerdings, die Gesellschaft bereits bei der Gründung ausreichend finanziell auszustatten, so dass nicht bereits im ersten Geschäftsjahr Kapitalerhöhungen erforderlich sind. Gesellschafter können juristische oder natürliche ausländische oder inländische Personen sein. Die Anteile können unter den Aktionären beliebig verteilt werden (ein Anteil muss mindestens 1 Kuruş betragen), und es besteht erstmalig auch die Möglichkeit der Gründung einer Ein-Personen-Gesellschaft. Während vor der Reform zwischen Einheitsgründung und Stufengründung unterschieden wurde, kennt das Gesetz heute nur noch die Einheitsgründung. Danach übernehmen die Gesellschafter bei der Gründung sämtliche Aktien der Gesellschaft.

      ·       Registriertes Kapitalsystem 

Neuerdings unterscheidet das Gesetz zwischen registriertem und nicht registriertem Kapitalsystem. So haben nun auch nicht börsennotierte Gesellschaften die Möglichkeit, sich für das registrierte Kapitalsystem zu entscheiden. Erforderlich ist die Einholung einer Erlaubnis beim Zoll- und Handelsministerium. Der Vorteil des registrierten Kapitalsystems besteht wesentlich darin, dass der Vorstand innerhalb eines in der Satzung festgelegten Zeitraums (maximal 5 Jahre) bis zu einer konkret bestimmten Summe (maximal das 5 fache des Grundkapitals) ermächtigt wird, Kapitalerhöhungen selbst vorzunehmen, so dass es nicht erst einer Satzungsänderung nach durchgeführter Hauptversammlung bedarf. Somit ist der Vorstand flexibler und kann im Notfall schneller auf finanzielle Engpässe reagieren. 

Sofern sich eine nichtbörsennotierte Gesellschaft für die Möglichkeit des registrierten Kapitalsystems entscheidet, beträgt das Mindestgrundkapital 100.000 TL.

      ·       Organe

Die Aktiengesellschaft setzt sich zusammen aus zwei Organen: Vorstand und Hauptversammlung. Der bisher obligatorische Kontrolleur (denetçi) wurde als drittes Organ abgeschafft. An dessen Stelle tritt bei bestimmten – größer ausgerichteten oder in bestimmten Branchen tätigen – Gesellschaften die Verpflichtung zur Bestimmung eines unabhängigen Prüfers oder einer unabhängigen Prüfungsgesellschaft. Kriterien regeln zwei Ministerratsbeschlüsse (2012/4213 und 2014/5973). 

Ferner sieht das im April 2013 veröffentlichte Änderungsgesetzes (Gesetzesnummer 6455) vor, dass nunmehr grundsätzlich alle Aktiengesellschaften einer Prüfung unterliegen. Wie diese genau auszusehen hat, wird in einer separaten Ausführungsverordnung geregelt werden, welche bisher nur im Entwurf vorliegt. 

Die Hauptversammlung ist ein gesetzliches Organ der Aktiengesellschaft. Es handelt sich 
um eine Versammlung der Aktionäre, in welcher diese ihre Rechte in Angelegenheiten der AG ausüben. Man unterscheidet zwischen ordentlicher und außerordentlicher Hauptversammlung. Die ordentliche Hauptversammlung hat innerhalb von drei Monaten nach Abschluss eines jeden Betriebsjahres stattzufinden. In der Hauptversammlung werden in allen von Gesetz oder Satzung bestimmten Fällen Beschlüsse gefasst. Soweit im Gesetz oder in der Satzung keine höhere Beteiligung vorgesehen ist, erfordert die Versammlungsmehrheit die Teilnahme von Aktionären oder deren Vertretern, deren Beteiligung zusammen mindestens ein Viertel des Grundkapitals ausmacht. Entscheidungen werden mit einfacher Mehrheit der anwesenden Stimmen getroffen. Besonderheiten gelten bei wichtigen Entscheidungen der Gesellschaft in Gestalt von Satzungsänderungen.

     Der Vorstand kann aus einer oder mehreren natürlichen oder juristischen Personen bestehen. Die Staatsbürgerschaft, der Bildungsgrad oder der Wohnsitz der Vorstandsmitglieder spielt – anders als zunächst im Entwurf vorgesehen – keine Rolle. Es ist nicht länger erforderlich, dass Vorstandsmitglieder gleichzeitig auch Aktionäre der AG sein müssen, so dass nun bei der AG auch Nichtaktionäre in den Vorstand gewählt werden können. Insofern ist eine vollkommene „Fremdgeschäftsführung“ möglich. Sollte eine juristische Person als Vorstandsmitglied bestellt werden, muss diese eine natürliche Person benennen, welche im Namen der juristischen Person handelt. Mehrere Personen können nicht als für die juristische Person Handelnde benannt werden. Diese benannte Person wird neben der juristischen Person im Handelsregister eingetragen und falls die Verpflichtung zur Unterhaltung einer Internetseite besteht, auf dieser veröffentlicht. Die Amtszeit der Vorstandsmitglieder beträgt maximal 3 Jahre. Soweit in der Satzung nichts anderes vorgesehen ist, können die Vorstandsmitglieder nach Ablauf dieser Frist erneut gewählt werden. Der Vorstand wählt jedes Jahr aus seiner Mitte einen Vorstandsvorsitzenden und mindestens einen stellvertretenden Vorsitzenden. Neu geregelt wurden auch die Versammlungsvoraussetzungen des Vorstands. Sofern in der Satzung nichts anderes geregelt ist, ist für die Abhaltung einer Vorstandssitzung die einfache Mehrheit der Gesamtvorstandsmitglieder ausreichend. Entscheidungen werden, sofern die Satzung nichts anderes vorsieht, mit einfacher Mehrheit der bei der Vorstandssitzung anwesenden Stimmen getroffen. Bei Stimmengleichheit wird die Entscheidung auf die nächste Vorstandssitzung verschoben.

Sowohl Hauptversammlungen als auch Vorstandssitzungen können neuerdings in elektronischer Form unter Beachtung besonderer Vorschriften abgehalten werden. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, die Geschäftsführung teilweise oder im Ganzen auf ein Vorstandsmitglied oder mehrere Vorstandsmitglieder oder auf Dritte zu übertragen. Auch die Vertretungsmacht kann, vorausgesetzt dass mindestens ein Vorstandsmitglied die Vertretungsmacht beibehält, auf Dritte übertragen werden.

      ·       Unübertragbare Pflichten und Befugnisse

     Zu beachten ist allerdings, dass das neue Türkische Handelsgesetzbuch explizit auflistet, welche Pflichten und Befugnisse nicht übertragbar sind. Dazu gehören unter anderem die Hauptgeschäftsführung der Gesellschaft und die Erteilung damit zusammenhängender Weisungen; Festlegung der Geschäftsführungsorganisation; Aufbau der Buchhaltung, der Finanzaufsicht und der für die Geschäftsführung erforderlichen Organisation der Finanzplanung; Mitteilung an das Gericht im Falle einer Überschuldung. Die Verantwortung der Vorstandsmitglieder hat sich somit wesentlich erhöht.

      ·       Haftung

Man unterscheidet bei der AG zivilrechtliche und strafrechtliche Haftung und Haftung für öffentliche Forderungen. Je nachdem haften die Vorstandsmitglieder, die Gesellschaftsgründer oder Dritte. Die Aktionäre haften nur gegenüber der Gesellschaft in Höhe ihrer zugesicherten Anteile. Die Aktiengesellschaft haftet gegenüber Dritten lediglich in Höhe ihres Vermögens.

      ·       Strafrechtliche Haftung

Die strafrechtliche Haftung der Vorstandsmitglieder hat sich wesentlich erhöht, so dass bei Verstoß gegen bestimmte Pflichten mit Geld- und Freiheitsstrafen zu rechnen ist. So haften Vorstandsmitglieder beispielsweise bei Verletzung ihrer Buchführungspflichten, nicht ordnungsgemäßer Buchhaltung, Verletzung der Geheimhaltungspflicht, Fälschung von im Gesetz aufgelisteten Dokumenten, Verstoß gegen das Verschuldungsverbot etc. Zur besseren Absicherung von Vorstandsmitgliedern sieht das türkische Handelsrecht erstmals eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (Directors & Officers (D&O) Versicherung) für Vorstandsmitglieder vor, so dass zukünftig mit einem Anstieg dieser Versicherungsart zu rechnen ist.

      ·       Haftung für öffentliche Forderungen

Für öffentliche Forderungen wie Steuern, Steuerstrafen, Prozesskosten, Abgaben etc. haftet grundsätzlich die Aktiengesellschaft. Wenn die Gesellschaft als eigentliche Schuldnerin die öffentlichen Forderungen nicht oder nicht ausreichend vollständig begleicht oder begleichen kann, haften jedoch auch die Vorstandsmitglieder persönlich für öffentliche Forderungen, gesamtschuldnerisch und unbegrenzt. Eine Durchgriffshaftung auf die Aktionäre bei öffentlichen Forderungen gegen die Gesellschaft ist anders als bei der GmbH nicht vorgesehen. Insofern haftet ein Aktionär nur dann für öffentliche Forderungen, wenn er gleichzeitig auch Vorstandsmitglied der AG ist.

      ·       Gründungsunterlager

  Welche Unterlagen für die Gründung benötigt werden, hängt davon ab, ob es sich bei den Aktionären um natürliche oder juristische Personen handelt und welche Nationalität diese Personen besitzen. Insbesondere bei Gründungen mit ausländischer Beteiligung müssen Besonderheiten beachtet werden. Ferner muss bei manchen Gesellschaften eine Genehmigung des Ministeriums eingeholt werden (Banken, Factoringgesellschaften, Versicherungsgesellschaften etc.). Neben besonderen Unterlagen, welche je nach Gründungsstruktur erforderlich sind, sind neben einem Antrag beim zuständigen Handelsregister die mehrfache Ausfertigung einer notariell beglaubigten Satzung, Unterschriftenproben der zuständigen Personen, eine Gründererklärung, Einzahlungsnachweise etc. vorzulegen.

      III. Die GmbH (Limited Şirket)

Gesellschafter können sowohl türkische als auch ausländische natürliche oder juristische 
Personen sein. Die maximale Gesellschafterzahl beträgt 50 Gesellschafter. Auch bei der GmbH ist die Gründung einer Ein-Personen-Gesellschaft möglich. Das Mindeststammkapital beträgt 10.000 TL. Ein Anteil muss mindestens 25 TL betragen. Von dem Stammkapital müssen wie bei der AG 25 % bereits bei der Gründung und der Rest (75 %) innerhalb von 24 Monaten vollständig eingezahlt werden.

      ·       Organe

Die GmbH setzt sich aus 2 Organen zusammen, dem/n Geschäftsführer/n und der Hauptversammlung.

In der Hauptversammlung können die Gesellschafter ihre Rechte in Angelegenheiten der Gesellschaft ausüben. Man unterscheidet wie bei der AG zwischen ordentlicher und außerordentlicher Hauptversammlung. Außer bei wichtigen Entscheidungen, wie Kapitalerhöhung oder Firmensitzverlegung, werden die Entscheidungen in der Regel mit einfacher Mehrheit der in der Versammlung vorhandenen Stimmen getroffen.

Geschäftsführer können natürliche oder juristische, inländische oder ausländische Personen sein. Der Geschäftsführer muss nicht Gesellschafter der GmbH sein und benötigt, anders als zunächst vom Entwurf des neuen Türkischen Handelsgesetzbuches vorgesehen, keinen Wohnsitz in der Türkei. Die Geschäftsführung und Vertretung kann in der Satzung auf einen oder mehrere Gesellschafter oder alle Gesellschafter oder Dritte übertragen werden. Zu beachten ist allerdings, dass mindestens ein Gesellschafter geschäftsführungs- und vertretungsberechtigt sein muss, insofern ist anders als bei der AG eine vollkommene „Fremdgeschäftsführung“ nicht möglich. Sollte eine juristische Person als Geschäftsführer bestellt werden, muss diese Person eine natürliche Person benennen, welche im Namen der juristischen Person handelt. Sofern mehrere Geschäftsführer bestellt werden, wählen die Gesellschafter einen Vorsitzenden. Entscheidungen werden mit einfacher Mehrheit getroffen. Bei Stimmengleichheit ist anders als bei der AG die Stimme des Vorsitzenden vorrangig, soweit in der Satzung nichts anderes vereinbart wird.

Sowohl Hauptversammlungen als auch Geschäftsführerversammlungen können neuerdings in elektronischer Form unter Beachtung besonderer Vorschriften abgehalten werden.

      ·       Unübertragbare und unverzichtbare Pflichten

Ähnlich wie bei der AG existieren bei der GmbH unübertragbare und unverzichtbare Pflichten. Dazu gehören unter anderem die Verwaltung und Führung der Gesellschaft auf hoher Ebene und Erteilung der erforderlichen Weisungen; Festlegung der Geschäftsführungsorganisation der Gesellschaft im Rahmen des Gesetzes und der Satzung; Aufstellung der Buchhaltung, der finanziellen Aufsicht und der finanziellen Planung, sofern dies für die Geschäftsführung der Gesellschaft erforderlich ist; Überwachung von denjenigen Personen, welchen Teile der Geschäftsführung übertragen wurden, dahingehend, ob diese die Gesetze, die Satzung der Gesellschaft, interne Verordnungen und Anweisungen ordnungsgemäß befolgen; Mitteilung an das Gericht im Falle einer Überschuldung.

      ·       Haftung

    Auch bei der GmbH existieren Haftungsregelungen, die beachtet werden müssen. Das Gesetz verweist insofern auf einige der Haftungsregelungen der Aktiengesellschaft.

      ·       Haftung für öffentliche Forderungen

      Für Schulden der Gesellschaft haftet grundsätzlich die Gesellschaft. Für den Fall, dass die GmbH ihre öffentlichen Forderungen nicht oder nicht vollständig begleicht oder begleichen kann, haften die Geschäftsführer persönlich gesamtschuldnerisch und unbegrenzt. Anders als bei der Aktiengesellschaft haften ferner die Gesellschafter bis zur Höhe ihrer prozentualen Beteiligung an der Gesellschaft unmittelbar. Im Falle einer Anteilsübertragung haften sowohl der alte als auch der neue Anteilsinhaber gesamtschuldnerisch für öffentliche Forderungen, sofern diese vor der Anteilsübertragung erwachsen sind.

      ·       Gründungsunterlagen

  Welche Unterlagen für die Gründung benötigt werden, hängt davon ab, ob es sich bei den Gesellschaftern um natürliche oder juristische Personen handelt und welche Nationalität diese Personen besitzen. Bei ausländischer Beteiligung herrschen Besonderheiten. Zusätzlich zu den besonderen Unterlagen, welche je nach Gründungsstruktur erforderlich sind, sind neben einem Antrag beim zuständigen Handelsregister auch die mehrfache Ausfertigung einer notariell beglaubigten Satzung, Unterschriftenproben der zuständigen Personen, eine Gründererklärung, Einzahlungsnachweise etc. vorzulegen. 

Für weitere Informationen setzen Sie sich bitte mit unserer Anwaltskanzlei und Rechtsberatungsfirma in Verbindung.

      Suzan Karakivrak, LL.M.

Rechtsanwältin

General Manager